
Dicht gedrängt standen die Gäste im Foyer des Theaters an der Ruhr. Knapp 130 waren der Einladung der Mülheimer Sozialdemokratie gefolgt. SPD-Chef Frank Esser begrüßte die Gäste, die "aktive" OB Dagmar Mühlenfeld würdigte die Verdienste ihrer Vorgängerin. Die Hauptrede hielt in launiger Tonart Ernst Gerlach, seinerzeit Oberstadtdirektor, heute Vorstand der NRW Bank. Helmut Schäfer und Roberto Ciulli würdigten Lore Güllenstern als Förderin des Theaters an der Ruhr.
www.spdmh.de nimmt die Veranstaltung zum Anlass, ein Interview mit Lore Güllenstern als Vorabdruck zu bringen, das als Teil einer Broschüre am 6. November vorgestellt werden wird.
Wie war das damals als Du 1982 Oberbürgermeisterin von Mülheim wurdest?
Zum ersten Mal in den Rat kam ich 1964 vor – 44 Jahren .Der Distrikt Altstadt die Ortsvereine hießen seinerzeit Distrikte stellte mich auf und ich gewann den Altstadtbezirk direkt. Kulturausschuss, Bauausschuss das waren meine ersten Aufgaben. Der Kulturpolitik gehörte schon immer meine Leidenschaft. Im Laufe der Zeit kamen weitere Gebiete hinzu so zum Beispiel auch die Finanzpolitik, die auch damals bereits eine entscheidende Rolle spielte.
1982 starb leider Dieter aus dem Siepen, der seit 1974 als Oberbürgermeister an der Spitze der Stadt gestanden hatte. Ich war zu diesem Zeitpunkt 1. Bürgermeisterin. Ich bereitete die Trauerfeierlichkeiten vor und dachte nicht im Traum daran, Nachfolgerin von Dieter aus dem Siepen zu werden. Vielmehr glaubte ich sicher, dass Friedrich Wennmann Nachfolger werden würde. Zu meiner Überraschung schlugen Gerd Müller, unser Parteivorsitzender, und Friedrich Wennmann, der die Fraktion führte, vor, dass ich dieses wichtige Amt übernehmen sollte. Das musste ich mir erst einmal überlegen, denn Oberbürgermeisterin zu sein, wenngleich als Ehrenamt, das macht man nicht mal so nebenher. Ich fragte meinem Mann und meine Kinder. Erst als sie zustimmten, erklärte ich, dass ich bereit stünde.
Als Frau in diese Postion zu kommen, war vor einem Vierteljahrhundert fast eine Sensation.Ich wurde damit nach der damals bereits legendären Luise Albertz, sie war 1979 verstorben und hatte als OB die Nachbarstadt Oberhausen über 20 Jahre geführt, die zweite weibliche OB einer westdeutschen Großstadt.
Wie hast Du das Amt verstanden?
Ich saß auf dem Stuhl von Heinrich Thöne, Hans Hager und Dieter aus dem Siepen. Das empfand ich als Verpflichtung. Meine Auffasung war stets, dass man, um erfolgreiche Politik zu machen, mit den Menschen reden muss. Das tat ich sehr umfassend. Rückblickend muss ich feststellen, dass von den unzähligen Bitten, Wünschen und Anregungen, die per Brief oder in Bürgersprechstunden an mich herangetragen wurden, leider nicht alle umgesetzt werden konnten. Nicht alle Wünsche sind erfüllbar, es gibt auch rechtliche Grenzen.
In Deine Amtszeit fiel die Gründung des Theater an der Ruhr. Wie ging das damals vonstatten?
Das hatte schon früher begonnen. Auch das Theater war schon vorher aus der Taufe gehoben. Damit hatte ich im Kulturausschuss viel zu tun. Wir wurden in Mülheim vom Düsseldorf Schauspielhaus fremdbespielt wie das damals hieß. Mir und anderen Kulturpolitikern in der SPD hat das nie so recht gefallen. Helmut Meyer, unser damaliger Kulturdezernent, berichtete mir eines Tages, dass er über seine Verbindungen im Deutschen Städtetag, einen Kontakt zu Roberto Ciulli habe. Die ersten Gespräche waren informell bereits zwischen Ciulli und Meyer geführt worden. Ich fuhr dann mit dem Kulturdezernenten zu einer Vorstellung nach Düsseldorf und lernte dort Roberto Ciulli kennen.
Der Plan war, in Mülheim ein eigenständiges Theater zu gründen. Das war nicht ganz einfach. Es gab durchaus nennenswerten Widerstand übrigens auch in den eigenen Reihen. Die Konstruktion, die wir dann fanden, war und ist eine ganz besondere. Sie istin dieser Broschüre im Interview, das Oda Gawlik mit Roberto Ciulli geführt hat ja nachzulesen. Man muss festhalten, dass diese Konstruktion nicht nur ziemlich einmalig in Deutschland war, sondern sich als überaus erfolreich erwiesen hat.
Ich war erste Aufsichtratsvorsitzende der gemeinnützigen GmbH Theater an der Ruhr. Ein Amt übrigens, das ich als ich Obwurde, aufgeben musste. Natürlich hatten wir mit den Finanzen zu kämpfen. Wenn man anspruchsvolles Theater machen will und das wollte Ciulli, das wollte auch ich dann rechnet sich das nie. Doch schon nach wenigen Jahren zeigte sich, dass sich das Theater an der Ruhr so entwickelte, wie ich mir das immer vorgestellt hatte. Heute stelle ich fest, dass es Roberto Ciulli und Helmut Schäfer gelungen ist, das Theater zum einen in Mülheim zu verankern. Die Mülheimer sind stolz auf ihr Theater. Die Weißen Nächte, die sich erfreulich großer Beliebtheit erfreuen, tragen weiter dazu bei, dass die Mülheimerinnen und Mülheimer das Theater an der Ruhr als das ihre empfinden. Zum zweiten ist unser Theater wirklich Welt-Theater geworden, das heißt, es hat sich durch zahlreiche Gastspieltreisen, an einigen habe ich dankenswerter Weise teilnehmen dürfen, den Rang als international bedeutendes Haus erspielt.
Die Kunst lag Dir immer am Herzen. Das Museum Alte Post ist in Deiner Zeit enstanden. Noch heute bis Du Vorsitzende des Kunstvereins.
Der Kunstverein trägt aus meiner Sicht das Museum. Die Museumsleiterinnen Frau Üllsberg und heute Frau Dr. Ermarcora haben aus der Substanz des Museum viel gemacht. Wichtig ist die Entscheidung der Oberbürgermeisterin, die Nachfolge von Frau Dr. Ermacora so schnell wie möglich zu regeln. Die Sammlungen, die wir präsentieren, können sich im nationalen Vergleich durchaus sehen lassen. Die Besucherfrequenz könnte, ginge es nach meinem Wunsch, besser sein. Die Besucherzahlen sind aber meines Wissens nicht niedriger als in vergleichbaren Museen.
Ich unterstütze die Überlegungen der Oberbürgermeisterin Dagmar Mühlenfeld, eine Konzeption zu erarbeiten, mehr Leute ins Museum zu bringen.
Stadtplanerisch war sicher die MüGa das größte Projekt Deiner Amtszeit.
Das war sicher so. An diesem Projekt war ich zentral beteiligt, hin und wieder auch in diplomatischem Auftrag. Ich erinnere mich noch, wie mich in einer Fraktionssitzung Friedrich Wennmann bat, eine eher heikle Mission zu übernehmen. Am Schloss Broich gab es damals nicht nur diesen scheußlichen Schrottplatz, sondern auch Kleingärten. Um den heute dort befindlichen Darlington Park als Teil der MüGa verwirklichen zu können – um es ebenso schlicht wie drastisch zu sagen: Die mussten weg. Und ich sollte den Gartenfreunden diese Botschaft so überbringen, dass sie möglichst freiwillig das Feld räumten. Das muss Lore machen, sagte Friedrich Wennmann. Die ersten Gespräche waren, um es zurückhaltend zu formulieren, nicht ganz einfach. Was auch verständlich war, schließlich handelte es sich um wunderschöne Gärten, in denen jahrelange Arbeit steckte. Die Mission gelang gleichwohl. Die Kolonie wurde nach Saarn umgesiedelt und am Ende waren alle zufrieden.
Auch im Streit um das Schloss Styrum musste ich schlichten. Es ging darum, wie das Schloss aufgeteilt werden sollte. Da war die Seniorenbegegnungsstätte, die Künstler, die sonstigen Bewohner. Auch das haben wir gut gelöst, wie ich finde. Natürlich war das nicht mit einem Gespräch erledigt. Wichtig auch hier wie bei den Kleingärtnern am Schloss Broich: Man kann nur etwas erreichen, wenn man mit den Menschen auf gleicher Augenhöhe spricht. Von oben herab geht es meiner Erfahrung nach nicht.
Wie hast Du die Reaktionen der anderen Parteien, vor allem der CDU, auf die MüGa-Pläne erlebt?
Bei der MüGa gab es anfänglich starken Widerstand. Die Pläne, die vor allem Gerd Müller angestoßen hatte, fanden beim politischen Mitbwerber keine Anerkennung. Das war manchmal schwierig. Wir haben uns damals durchgesetzt. Wie wir heute wissen zum Wohle der Stadt. Bei der CDU war man ein wenig gespalten. Man war zwar auch stolz, eine Landesgartenschau nach Mülheim zu bekommen, aber eben nicht die, die uns vorschwebte. Es sollte ja nicht eine wie Gerd Müller das immer sagte Blümchenschau werden. Das MüGa-Projekt hat viel Kraft gekostet. Als wir im April 1992 die MüGa-Tore für die Besucherinnen und Besucher öffneten, waren wir als Macher total erschöpft und glücklich zugleich. Die Besucher waren alle zufrieden und sind es bis heute.
Du hast zu Beginn der 70er-Jahre in Mülheim die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen – kurz: AsF – mit aus der Taufe gehoben. Was waren das damals für Zeiten?
Wenn ich mich recht erinnere, forderte die SPD seit einem Parteitag in Gotha 1875 das allgemeine Frauenwahrecht. Eingeführt wurde es erst 1919. Das Beispiel zeigt: Wir sind mit der SPD oft unsere Zeit voraus. Bei der AsF-Gründung galt das insbesondere auch für Mülheim. Auf dem Dortmunder Parteitag 1972 wurde die AsF formell zu einer Arbeitsgemeinschaft. Wir Frauen in der SPD in Mülheim nannten uns schon 1971 AsF.
Die AsF lag mir immer besonders am Herzen. Ich war die erste Vorsitzende und blieb das bis 1987. Danach übernahm Lisa Poungias den Vorsitz. Es waren andere Zeiten damals. Wer Anfang der 70er-Jahre auf der Schlossstraße stand und für die Liberalisierung des § 218 öffentlich das Wort ergriff, musste gewärtig sein, massiv angegriffen zu werden. Auch körperliche Attacken waren dabei. Da haben wir unsere Frau gestanden. Wie auch heute. Die AsF war über mehr als drei Jahrzehnte bis heute ein Motor der Veränderung in der SPD. Ich bin stolz darauf, so lange Vorsitzende dieser wichtigen Arbeitsgemeinschaft gewesen zu sein.
Wir haben für beitragsfreie Kindergärten für alle gekämpft, als noch keiner nur im Traum daran dachte. Wir haben das Frauenhaus in Mülheim gefordert und bekommen, und wir haben uns zum Beispiel quer gelegt, als unter Helmut Schmidt Ende der 70er-Jahre die Nachrüstung gefordert wurde. Wir haben gegen den NATO-Doppelbeschluss vom 12. Dezember 1979 protestiert. Da waren wir auch Kritikerinnen unserer eigenen Partei. Es war nicht selbstverständlich, was wir damals taten und führte auch zu Anfeindungen innerhalb der eigenen Partei. Für mich war und ist die AsF immer eine mutige, voraus denkende Arbeitsgemeinschaft. Das war mit Lisa Poungias so und auch jetzt unter dem Vorsitz von Renate aus der Beek.
Am 1. Oktober bist Du 79 geworden. Du schaust auf ein langes politisches Leben zurück. Gibt es als Quintessenz aus Deiner politischen Erfahrung etwas, von dem Du sagst: Das würde ich allen Politikerinnen und Politikern ins Stammbuch schreiben? Und: Kannst Du das in einen Satz fassen?
Erstens: Es müssen mehr junge Leute in die SPD. Sagen wir allgemein: In die Politik überhaupt. Die kommen aber nur, wenn man sie mitreden lässt. Insofern ist das Jugendparlament eine richtige und wichtige Institution. Das muss noch mehr publik gemacht werden. Meiner Wahrnehmung nach ist die Existenz des Jugendparlaments noch viel zu wenig in den Köpfen der Bürgerinnen und Bürger. Und den jungen Leuten muss man sagen: Ihr seid beteiligt an dem, was in dieser Stadt passiert. Das Angebot zur politischen Teilhabe muss von uns Sozialdemokraten kommen. Junge Menschen sind so meine Erfahrung an Themen interessiert, wollen diskutieren, debattieren. Da müssen wir ihnen die Plattform schaffen, auf der sie mit uns in den Dialog kommen können. Die jungen Menschen kommen ja nicht von allein, sie müssen angesprochen werden. Das tun wir meines Erachtens zu wenig.
Zweitens: Wir in der Politik haben die nie endende Aufgabe, Gerechtigkeit herzustellen. Gerechtigkeit ist der Kern. Und – ja, dass es schöner wird für alle Menschen. In Mülheim, überall auf der Welt. Das ist unsere Aufgabe. Dafür werden und sind wir gewählt. Dafür habe ich 40 Jahre gearbeitet. Das waren stets mein Ziel und mein Antrieb.
Wenn ich heute fernsehe, so kann ich das gezeigte Elend, die Armut, den Hunger, kaum ertragen. Und ich frage mich manchmal: Wieso fällt es uns in dieser reichen Welt so schwer, das ein für alle mal zu beenden. Es ist doch genug da für alle. Wir müssen vor allem in Bildung investieren, noch viel mehr als wir das bisher tun. Über Bildung entscheidet sich alles, daran hängen die Lebenschancen. Auf Bildung mussen wir alle Ressourcen richten.
Die Jungen sind unsere Zukunft. Und wenn ich sehe und höre, dass heute Kinder und Jugendliche es schwer haben, ihren Lebensweg zu finden, auch hier bei uns in Mülheim, dass Eltern kaum noch in der Lage sind, ihren Erziehungsaufgaben gerecht zu werden, Kinder zum Beispiel ohne Frühstück in die Schule kommen, wenn ich das sehe, möchte ich immer nocheingreifen auch mit fast 80. Das ist das Feld, auf dem wir uns stärker als bisher engagieren müssen. Das wäre sogar etwas, mit man mich als alte Frau wieder flott bekäme. Das ist für mich eines der wichtigsten Projekt der Sozialdemokratie.
Du wolltest die politische Essenz in einem Satz ich versuche es: Wir Politiker haben die Pflicht, die Welt zu verwandeln, sie für alle gerechter und ich bleibe bei dieser einfachen Formulierung: Sie schöner zu machen.