Meyers Lexikon, Brockhaus Enzyklopädie und der Entscheid am 9. September.

So geschehen am letzten Samstag. Ein Ehepaar mit zwei A4-Blättern bittet mich zum Gespräch. Sie verweisen darauf, dass meine Aussage in der NRZ vom Tage, es gebe überhaupt keine Privatisierung insofern falsch sei, als ich einen Aspekt gänzlich ausgeblendet hätte.

Im einzelnen: Es gibt in der Tat – laut Meyers und Brockhaus – drei Aspekte oder Dimensionen des Begriffs Privatisierung.

  • Der Verkauf von staatlichem/städtischem Eigentum an Private.
  • Die Ausgründung einer bisher öffentlich-rechtlichen Einrichtung in eine privatrechtliche Gesellschaft, zum Beispiel eine GmbH.
  • Die Fremdvergabe von bisher im öffentlich-rechtlichen Bereich erbrachten Leistungen nach außen, sprich an Private.

    Punkt 1 trifft in Mülheim nicht zu. Es wird nichts verkauft. Das war auch im Gespräch mit dem gut informierten Ehepaar unstrittig. Punkt 2 trifft auch nicht zu, denn eine Gesellschaft wird nicht gegründet. Ebenfalls unstrittig.

    Bleibt Punkt 3. Das geschehe doch, so die Behauptung. Wirklich? Was heißt den eigentlich Facility Management, also die komplette Unterhaltung eines Gebäudes? Was muss da gemacht werden? Da ist die Elektrik defekt. Wer kommt? Ein Elektriker. Die Heizung muss gewartet werden. Wer kommt? Ein Heizungsmonteur. Zum Türenstreichen nimmt man sinnvoller Weise einen Maler und Lackierer. Sollte das Dach undicht sein, wird ein Dachdecker bemüht. Die Reihe kann man fortsetzen.

    Hat die Stadt Elektriker, Heizungsmonteure, Maler und Lackierer oder Dachdecker beschäftigt? Nein, natürlich nicht. Immer schon wurden, war was nicht in Ordnung oder musste was saniert werden, Betriebe, also Private beauftragt. Die Stadt vergibt also nichts an Fremde, was sie bisher selbst gemacht hätte.

    Da die Stadt schon immer, seit Jahrzehnten, Aufträge an Private nach außen vergeben hat, könnte man die aberwitzige Behauptung aufstellen, die „Privatisierungswelle“ laufe schon 50 Jahre. So verrückt war bisher noch keiner, diese Behauptung aufzustellen.

    Fazit: Auch die 3. Dimension des Begriffs Privatisierung greift nicht in Mülheim. Privatisierung findet nicht statt. Da helfen weder Meyers noch Brockhaus.

    Zum Schluss eine entscheidende Frage: Wo ist eigentlich der wirklich prinzipielle Unterschied zwischen der Fremdvergabepraxis „konventionell“ und ÖPP?

    Schon immer haben private Firmen für die Stadt eine Dienstleistung erbracht und schrieben dafür eine Rechnung. Schon immer war im Rechnungsbetrag ein Gewinn enthalten. Was auch nicht als moralisch anstößig gelten darf. Steuern werden von Gewinnen gezahlt. Und diese Steuern ermöglichen erst einmal Schulen, Kindergärten, Altenheime usw.

    Und bei ÖPP? Da wird das Gesamtpaket der Unterhaltung an eine Firma vergeben. Die Stadt hat dann alles aus einer Hand. Eine Praxis, die übrigens Eigentümergemeinschaften von Eigentumswohnungen häufig praktizieren. Auch die eine Firma schreibt Rechnungen. Auch sie kalkuliert natürlich einen Gewinn. Der Unterschied ist lediglich eine und viele. Es gibt keinen prinzipiellen Unterschied.

    Und jetzt noch mal zurück, zu der oben so genannten verrückten Behauptung. Wenn Fremdvergabe als solche Privatisierung ist und Privatisierung schlecht, dann darf auch völlig ohne ÖPP kein Auftrag mehr an Private vergeben werden. Das finden sie jetzt übertrieben und irgendwie grotesk. Schon möglich. Doch dahin führt die Logik der JA-Sager.