Rückzugsgefechte der Landesregierung

31 Seiten ist der Antrag „Die beste Bildung für alle“ lang, der morgen beim Landesparteitag der NRWSPD in Bochum beraten wird. 5 Seiten widmen sich dem Modell Gemeinschaftsschule. Wer vor dem Lesen die ideologische Brille absetzt, stellt fest, da geht es sehr viel um gerechte Bildungschancen, darum, dass kein Talent auf der Strecke bleibt, dass soziale Herkunft nicht über Bildungsabschlüsse entscheiden darf. Und ganz wenig ist eigentlich vom Schulsystem die Rede.

Die SPD in NRW will einen Quantensprung bei der individuellen Förderung. Das geht nicht in einem Schubladensystem. Was 00-Rüttgers mit der Lizenz zu bildungspolitischen Killerphrasen den Bürgerinnen und Bürgern in NRW weismachen will, das die „heilige Dreigliedrigkeit“ der Weisheit letzter Schluss sei, ist gelinde gesagt hanebüchen. Es gibt keinen, wirklich keinen, ernst zu nehmenden Experten mehr, der die Dreigliedrigkeit als Zukunftsmodell preist. Und das aus einem Grund: Das bestehende dreigliedrige System wird den Anforderungen der Wissensgesellschaft nicht gerecht.

Alle sind sich darin einig, dass unsere Zukunft aus Bildung gemacht wird. Bildung ist der Stoff, aus dem die Bruttosozialprodukte der Zukunft sich ergeben werden. 27% der Schülerinnen und Schüler in Deutschland machen Abitur. In Schweden sind es 76%!! Das liegt nicht an der besseren Luft Skandinaviens, sondern daran, dass in einer Schule bis Klasse 10 eine perfekte individuelle Förderung (Binnendifferenzierung) erfolgt. Der Blick nach Finnland zeigt ähnliche Zahlen und analoge pädagogische Strukturen. Um es ebenso schlicht wie richtig zu sagen: Wenn wir auch 70% Abiturientenquote wollen – und wir müssen sie wollen – dann geht das nicht, wenn wir die dreigliedrige Struktur für immer und ewig als sakrosankt erklären.

Die Gemeinschaftsschule ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ersonnen vom Verband Bildung und Erziehung, der bis dato noch nie als Vorfeldorganisation der SPD hervortrat, ist das Modell so flexibel, dass alle damit gut leben können. Die Münsterland-Gemeinden Horstmar und Schöppingen, beide mit CDU-Mehrheit, wollen eine Gemeinschaftsschule. In Enningerloh im Kreis Warendorf hat die FDP eine Gemeinschaftsschule beantragt, in Siegburg ist es wieder die CDU.

Auf Landesebene bläst der NRW CDU-Chef zum letzten Gefecht. Und an der Basis ist die Erkenntnis schon weit über diesen Mottenkisten-Starrsinn hinaus.

Was treibt die konservativ-liberale Regierung? Im Moment fliegt ihnen alles um die Ohren. Eltern, Verbände und Erzieherinnen machen gegen das neue Kinderbildungsgesetz (KiBiz) mobil. „KiBiz ist Mumpitz“. Die Novelle zum Landespersonalvertretungsgesetz triff (zu Recht) auf massiven Widerstand. Die Privatisierungswelle – „Privat vor Staat“, eine reine FDP-Monstranz – treibt auch CDUler im Lande auf die Palme. Der Verkauf der LEG-Wohnung schafft keine Sympathien. In der Staatskanzlei stehen die Zeichen auf „Rette sich, wer kann“.Es gelingt nichts. Es wird grottenschlechte Politik gemacht. Die konservativ-liberale Regierung in Düsseldorf ist auf dem Rückzug. Da bleibt als letzte Linie der Kulturkampfgraben, der aus den 70er-Jahren überdauert hat. Dort sucht man Heil und Rettung, versucht, die in Auflösung befindlichen eigenen Reihen zum Halten zu bringen. Die Schulstrukturdebatte ist das letzte Gefecht von Jürgen Rüttgers. Er wird es verlieren.