


spdmh: Das war der erste im Parteijargon sogenannte Ordentliche Laandesparteitag nach der verlorenen Landtagswahl vom 22. Mai 2005. War das ein besonderer Parteitag?
Esser: Natürlich war er etwas Besonderes. Die Niederlage vom letzten Jahr nach 39 Jahren alleiniger Verantwortung für das Land war schmerzlich. Wenn man so lange regiert hat, fällt es schwer, Opposition zu sein, möchte man meinen. Doch es ist für mich überraschend, wie schnell unsere Partei als Opposition Tritt gefasst hat. Ja mehr als das: Wir sind in NRW wieder vorn. Das hat das Ergebnis bei der Bundestagswahl im September vorigen Jahres gezeigt.
spdmh: Keine Selbstkritik?
Esser: Doch. Sie ist heute auch deutlich geworden. Sowohl der neue Parteivorsitzende Jochen Dieckmann, der auch der alte war und mit über 90% ein klasse Ergebnis erzielte, als auch insbesondere Peer Steinbrück haben nicht mit Kritik gespart. Beide sagten übereinstimmend, dass die Niederlage vom Vorjahr keine Betriebsunfall gewesen sei. Peer Steinbrück hat folgendes gesagt: Es mache keinen Sinn, dass wir uns nur in einer Vergangenheitsorientierung verlieren. So, wie alte Männer über Kriegserlebnisse erzählen. Wir dürften uns nicht länger als die bessere Alt-Regierung in Nordrhein-Westfalen darstellen, sondern als die bessere Zukunftskraft in Nordrhein-Westfalen präsentieren. Das ist exakt auch meine Meinung.
spdmh: Wie soll das Bessermachen aussehen?
Esser: Das ist ein weiter Weg. Wir brauchen dazu Ausdauer und Disziplin und wir brauchen auf diesem Weg eine geeinte, eine entschlossene, eine kampfesmutige SPD in Nordrhein-Westfalen. Die habe ich heute erlebt. Wir sind dabei uns inhaltlich-programmatisch neu aufzustellen. Im Verfahren erkenne ich im übrigen Strukturen, die wir in Mülheim schon sehr lange aus unseren bürgeroffenen MülheimPlan-Debatten kennen. Wir werden spätestens im Jahr 2008 den Menschen in NRW ein umfassendes Politikangebot machen, das sich deutlich von dem der CDU unterscheidet.
spdmh: Warum dauert das so lange?
Esser: Es gibt keine Eile. Qualität muss vor Schnelligkeit gehen. Wir werden auch über Themen diskutieren, die lange Jahre tabuisiert waren, dies vor allem aus taktischen Gründen. So ist es aus meiner Sicht unerlässlich in der Schulpolitik die Strukturfrage zu stellen. Wir in Mülheim haben das schon 2004 im Kommunalwahlkampf getan. Da waren wir also mutige Vorreiter. In Schweden und Finnland führen die integrierten Schulsystem über 60% aller Schülerinnen und Schüler zum Abitur. Wir schaffen in NRW knapp 30% und sind damit Spitze in Deutschland. Bei solchen Zahlen ist es absolut notwendig, unser gegliedertes Schulsystem in Frage zu stellen. Das ist im übrigen keine ideologische, sondern schlicht eine Frage der pädagogischen Effektivität. Wir lassen 30% unserer Schüler auf der Strecke. Das ist grundfalsch. Als Wirtschaftsmann kann ich nur sagen: Das ist auch ein volkswirtschaftlicher Skandal.
Ein zweiter Punkt ist Z.B. das wir sehr genau die Auswirkungen der demografischen Entwicklung analysieren müssen, um dann für fast alle Politikbereiche die notwendigen Konsequenzen formulieren zu können. Das ist eine der zentralen Zukunftsfragen.
All diese Themen sind heute angesprochen worden. Wir haben heute die Themenlandkarte der nächsten drei Jahre vorgezeichnet. Jetzt geht es an die Arbeit. Ich bin guten Mutes, dass am Ende Konzepte stehen werden, die die Menschen in NRW als die richtigen bewerten werden.