
Wie immer bleibt der scheidende Parteivorsitzende auf dem Realismusteppich. In seinem Schreiben an die SPD-Mitglieder heißt es: Stürmische Zeiten gar keine Frage. Aber eine kräftige Brise kann den Kopf frei machen und für klare Gedanken sorgen. Das wünsche ich uns jetzt, weil wir es brauchen. Und weil die sozialdemokratische Idee unverzichtbar ist für eine gute Zukunft unseres Landes.
Das ist kein Abwiegeln, sondern ein wirklichkeitsnaher Blick auf die Ereignisse der letzten Tage. Heute wird mit Matthias Platzeck ein Münte-Nachfolger durch die Parteigremien nominiert. Platzeck ist 51 Jahre alt, knapp 15 Jahre jünger als Franz Müntefering und ein politischer Realist, mit beiden Beinen auf dem Boden der Wirklichkeit. Ein Mann mit politischer Führungserfahrung, mit Elan und Ideen. Dass er aus dem Osten der Republik kommt, beweist, die alten Schemata Ossi gegen Wessi spielen in der Sozialdemokratie keine Rolle. Da ist längst Normalität eingekehrt.
Franz Müntefering geht als Vizekanzler ins Kabinett. Seine Prokura in den laufenden Koalitionsverhandlungen in Frage zu stellen, ist abwegig. Er hat sie. Noch einmal Franz Müntefering im O-Ton: Ich führe die Koalitionsverhandlungen an der Spitze weiter, mit aller Energie und mit dem Ziel, eine Koalition möglich zu machen, die glaubwürdig und überzeugend das Land erneuert und soziale Gerechtigkeit sichert. Eine solche Koalition wird keine leichte Sache sein, nicht dem Inhalt nach und nicht der Form nach. Insbesondere ist aber die Lösung der objektiven Probleme, vor denen unser Land steht, keine leichte Sache. Wir müssen mit Augenmaß und Verantwortung unseren Teil zur Bewältigung dieser Aufgaben beitragen.
Auf Matthias Platzeck kommen große Aufgaben zu. Er weiß das. Als zukünftiger Parteivorsitzender muss er vor allem die programmatische Debatte weiter- und zu einem konsensualen Ende führen. Nur über eine neue programmatische Erdung wird die SPD ihrer selbst sicher sein, werden die Flügel der Partei zusammen gehalten. Flügel zu haben ist im übrigen kein Unglück. Auch hier hat Münte in seiner unnachahmlichen Art Treffendes gesagt: Nur mit zwei Flügeln kann man fliegen.
Vor uns stehen große Aufgaben. Es geht um das Land, seine Menschen und dann erst um die Partei. Zuallerletzt geht es um innerparteiliche Karrieren und Posten. Letzteres müssen sich diejenigen sagen lassen, die die jetzige Lage zu verantworten haben.
Aufgaben erfordern Mut und vor allem den Blick nach vorn, zwei Eigenschaften, welche die SPD seit 140 Jahren auszeichneten. Bei aller anhaltenden Betroffenheit, auch Bestürzung und Zorn gilt, was Franz Müntefering uns gelehrt hat: Politik muss das Richtige tun. Für unser Land und seine Bürgerinnen und Bürger. Das ist unsere Aufgabe. Das gilt heute und morgen. Die sozialdemokratische Idee sei unverzichtbar für unser Land, sagt Franz Müntefering. Genau so ist es.