„Anleitung zum Unglücklichsein“

Fast ist man geneigt zusagen: Irgendwie hat Schröder Merkel gerettet. Nach der altbekannten Regel, dass ein äußerer Feind die eigenen Reihen zusammenschließt, so hat auch Schröders Anspruch, weiterhin auf dem Chefsessel zu bleiben, unionsintern vorübergehend Beißhemmungen ausgelöst. Dankbarkeitsbezeugungen der Kandidatin sind zurzeit allerdings noch nicht bezeugt.

Das Ergebnis der Union, beziehungsweise des gesamten konservativ-bürgerlichen liberalen Lagers, am 18. September war eine Katastrophe. Geschichtskundige Politikwissenschaftler weisen darauf hin, dass dieses Lager in den letzten 100 (!!) Jahren bei demokratischen Wahlen nur zweimal schwächer war. Überdies: Werte über 40% generiert die Union nur noch bei Wählerinnen und Wählern über 65 Jahren. In allen Alterskohorten unterhalb des (gesetzlichen) Rentenalters liegt die SPD vor der Union. Selbst wenn man ein Höchstmaß an wechselwählerischer Volatilität unterstellt, ist nicht anzunehmen, dass die dem Rentenalter zuwachsenden Generationen ab ihrem 60. Geburtstag mehrheitsbildend für die Union zum bürgerlichen Konservatismus konvertieren. Die Langfristperspektive ist für die Union alles andere als rosig.

Es ist auch diese langfristige Negativperspektive, die jetzt in der Union die Merkel-Kritiker laut werden lässt. Aktuell gepaart mit einem programmatischen Offenbarungseid. Noch vor knapp drei Monaten sonnte sich die Union und mit ihr Angela Merkel im Lichte von 48% Zustimmung, was das Alleinregieren, von der Kandidatin auch „Durchregieren“ genannt, durchaus möglich gemacht hätte. Doch die 48% entstammen einer Phase, in der die Union ihr eigenes Programm noch nicht vorgestellt hatte. Ab dem Zeitpunkt, an dem den Wählerinnen und Wählern klar wurde, wohin die konservative Reise gehen sollte, brach die Union ein. Steil ging es nach unten. Fast schien es auf der Ziegeraden so zu sein, als könnte sich die CDU/CSU mit um die 41% noch ins Schwarz-Gelbe retten. Am Wahltag dann das böse Erwachen: 35%.

Der CSU-Sozialpolitiker Matthäus Strebl spricht jetzt davon, man sei ohne soziale Seele in den Wahlkampf gegangen. Und einer Kandidatin, die viele – auch und vor allem in seiner Partei – nicht wollten. Im trauten Gespräch mit Sandra Maischberger ließ sich Horst Seehofer entlocken, man habe immer dann schlecht abgeschnitten, wenn die Union den Charakter der Volkspartei verlassen habe. Massiver kann Kritik eigentlich nicht mehr formuliert werden. Sie bedeutet nämlich im Klartext nichts anderes, als dass die Union in diesem Wahlkampf als themenverengte Klientelpartei sich darstellte und auch so wahrgenommen wurde. Verantwortlich dafür: Angela Merkel. Das Magazin Der Spiegel titelt, frei nach Paul Watzlawik, das Unionsprogramm sei eine „Anleitung zum Unglücklichsein“. "Mit Mehrwertsteuererhöhung, Kürzung der Pendlerpauschale und Lockerung des Kündigungsschutzes haben wir den Wählern einfach zu viel zugemutet", formuliert Unions-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach die Kritik ebenso eindeutig, wenngleich zurückhaltender.

In der Tat, allen Analysen ist zu entnehmen, dass die Union die wahlentscheidende „neue“ bürgerliche Mitte nicht hat erobern können. Die aufstiegsorientierten Milieus der Mitte, vor allem die Menschen zwischen 35 und 45 Jahren haben die Union und damit Angela Merkel nicht gewählt, die Jüngeren, Erstwähler von 18 bis 25, schon erst recht nicht. Wer Neoliberal wollte, wählte das Original, Westerwelles FDP. Die Union auf der Suche nach der Mitte, nach der programmatischen Verortung? Das ist wohl wahr.

Hinzu kam, dass die „Anleitung zum Unglücklichsein“ allzu technokratisch unterkühlt, eben herzlos, von Dr. rer. nat. Merkel im Wahlkampf kommunikativ exekutiert wurde. Als Technokratin der Macht wurde sie vor einiger Zeit von der Wochenzeitung Die Zeit beschrieben. Diese Charakterisierung löste sie ein, mit dem bekannten Ergebnis. "Wir haben die Herzen der Menschen nicht erreicht", bilanziert NRW-Arbeitsminister Laumann deshalb ernüchtert den Wahlkampf. Er will nun die Interessen der CDA, der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft, wieder stärker unionsintern vertreten – notfalls auch gegen die Parteiführung: "Diejenigen, die über die Entsozialdemokratisierung der CDU gejubelt haben, wachen jetzt in einer Großen Koalition auf." Letzteres richtet sich gegen Friedrich Merz, der seinerzeit nach dem Beschluss „seiner“ Steuerreform davon gesprochen hatte, dies sei nun endlich das Ende der „Sozialdemokratisierung der CDU“.

Die CDU tarnte Sozialabbau als Reform, kommunikativ bemäntelt mit einer Ehrlichkeitsattitüde – „Den Menschen die Wahrheit sagen.“ Vorfahrt für Arbeit hätte aber für Arbeitnehmer weniger Netto in der Tasche bedeutet. Das wurde schnell begriffen. Natürlich wird das nicht honoriert. Viele sind bereit, für große gesamtgesellschaftliche Ziele den Gürtel enger zu schnallen. Doch nur dann, wenn nicht am oberen Ende der Einkommensskala das selbst auferlegte Darben im sozialen Basement den Champus in der Belle Etage finanziert. Schlichter gesagt: Die Menschen wollen, dass es gerecht zugeht. Dass diese Gerechtigkeit herrschen werde, konnte Merkel nicht vermitteln. Auch deshalb nicht, weil sie in ihrem Programm gar nicht enthalten ist.

Die Union ist aktuell auf der Suche nach ihrer Mitte. Eingebüßt hat sie, durch Angela Merkels Programmatik und Kampagne, den Status der Volkspartei. Auch der Versuch zum zweiten Male den Traditionsnimbus der „Republikgründerpartei“ zu beschwören, hat nicht verfangen. Was Kohl noch einmal gelang, ging in der Merkel-Kampagne nicht mehr. Die dazu notwendige Miesmachkampagne – „Noch nie ging es Deutschland so schlecht“, O-Ton Merkel – geriet zum psychotaktischen Rohrkrepierer. Was Jürgen Rüttgers in NRW an die Macht brachte, ging, um es salopp zu sagen, in die Hose. Zweimal laufen die Wahlbürger nicht in dieselbe Falle. Rüttgers selbst bekam in NRW die Quittung. Dem selbsternannte „Arbeiterführer“ liefen die Arbeiter in Scharen davon. Von 44 auf 34% in nur 100 Tagen, das hat noch keiner geschafft.

Die Union ist auf der Suche nach sich selbst. Ob Angela Merkel nach dieser historischen Niederlage die politischen Scout- und Führungsqualitäten hat, die jetzt notwenig sind, ist zu bezweifeln. Wer übernimmt? Ja wer?