Liebe Alice Schwarzer,
ich schätze Sie. Sie verdienen für ihre Leistung Anerkennung und Respekt. Doch jetzt haben sie sich verrannt, sitzen dem fundamentalfeministischen Mythos auf, Weiblichkeit sei per se besser. Aus diesem Mythos entsprang ihr politisch inhaltsfreies Faible für Angela Merkel und jetzt treibt er ihren Zorn über die angeblichen Machos hervor, die Merkel als Kanzlerin verhindern wollen mit der Begründung, wie Sie unterstellen, weil sie eine Frau ist.
Selten so einen Quatsch gelesen, Frau Schwarzer, wie ihren Artikel in der FAZ, abgedruckt auch in der WAZ vom 26. September bzw. ihre im Spiegel abgedruckte Meinung. Die Bürgerinnen und Bürger haben nicht Nein gesagt zu Angela Merkel, als Person spielte sie bei der Entscheidung kaum eine Rolle, sondern zu ihrem neoliberalen Programm, das allzu technokratisch unterkühlt, gleichsam herzlos von ihr vermittelt wurde.
Der Weiblichkeit-ist-besser-Mythos offenbart überdies ein Politikverständnis, wenn es denn also solches überhaupt verdient so genannt zu werden, das zum ersten in einem fast biologistischen Sinne fundamentalistisch ist, zum zweiten ausblendet, dass Frausein allein weder ein politisches noch ein menschliches Qualitätsmerkmal ist und es niemals war.
Sie sind alt genug, um bewusst erlebt zu haben, wie z.B. Benazir Bhutto am 2. Dezember 1988 zur Regierungschefin Pakistans wurde, seinerzeit eine Sensation. Irritierend in der Folge allerdings: Sie unterstützte massiv die Taliban, das wohl frauenfeindlichste Regime der jüngsten Geschichte, brachte ganz macholike und Hand in Hand mit ihrem Gatten Millionen Dollar durch Korruption auf die Seite und genießt heute in Dubai u.a. ihren illegal erworbenen Reichtum.
Indira Ghandi ließ missliebige Oppositionspolitiker inhaftieren, kappte regierungskritischen Zeitungen kurzerhand die Stromzufuhr und bezeichnete Demokratie als lästige und allzu langwierige Staatsform (grindig halt). Jahrelang regierte sie auf der Basis eines von ihr selbst festgestellten Ausnahmezustandes, der ihr monarchische Allmacht gab. Debatten im Parlament fanden nicht mehr statt.
Das Manager-Magazin wünschte sich jüngst eine Revolution á la Thatcher. Und erhofft sich diese von Angela Merkel. Erinnern Sie sich? Die Iron Lady. Ihr Freund im Geiste war Ronald Reagan, sie ließ sich vom ultraliberalen und Pinochet-Berater Milton Friedman unterweisen, brach aus wahltaktischen Überlegungen 1982 einen Krieg mit Argentinien vom Zaun. Er forderte rund tausend Opfer. Sie stand felsenfest zum NATO-Doppelbschluss. Noch mehr? Sie zerschlug die englischen Gewerkschaften das hatte Mr. Friedman ihr geraten. Sie privatisierte alles, was bis dahin dem Staat gehörte: Wasserversorgung, Telekommunikation, Eisenbahnen. Mit dem Erfolg, dass heute der Eisenbahnfahrplan in GB nichts weiter als ein Versprechen ist, dass an einem bestimmten Tag eventuell ein Zug in die gewünschte Richtung fährt. Die Einführung der Poll Tax, ebenfalls vom Chicago-Boys-Guru Friedmann inspiriert, Ende der 80er stieß zu Recht auf massiven Bürgerprotest und kostete sie schließlich den (politischen) Kopf. Geadelt zur Lady besuchte sie als Freundin 1998 den faschistischen Schergen Pinochet, der damals in London unter Hausarrest inhaftiert war.
Nein, Frau Schwarzer, politische Entscheidungen folgen mitnichten ihrer feministischen Steinzeitformel weiblich versus männlich. Es geht für die Wählerinnen und Wähler um Inhalte. Gott sei Dank, kann ich nur sagen.
Sind Sie eigentlich für die Kopfpauschale á la Poll Tax? Sind sie für die Zerschlagung der Gewerkschaften? Wollen Sie, dass Krankenschwestern die Steuerfreiheit ihrer Nachtzuschläge gestrichen wird? Sind Sie für die Wiedereinführung der Atomkraft durch die Hintertür? Sind Sie für das antiquierte Frauen- und Familienbild eines Professors Kirchhof? Den holte Angela Merkel zur Überraschung aller in ihr Kompetenzteam. Wollte ihm einen Platz an ihrem Kabinettstisch geben. Des Professors Steuerpläne waren von besagtem Milton Friedman inspiriert und antizipiert vor 40 Jahren. Angela Merkel sprach geschichtsvergessen bis zur Peinlichkeit in Reagan-Diktion zu 21 Millionen TV-Zuschauern. Ist Ihnen das nicht aufgefallen? Ist es Ihnen egal, wenn, einerlei ob Frau oder Mann, aus wirkungsästhetischen Gründen dieser Star-Wars-Hardliner zitiert wird, der im übrigen in der Öffentlichkeit seine Gattin Nancy stets so behandelte, als sei sie ein hilfsbedürftiger Trottel?
Die Frage am 18. September war nicht Schröder gegen Merkel = Mann gegen Frau, sondern die, ob Deutschland auf streng neoliberalen Kurs gehen sollte oder nicht. Die Bürger und vor allem die Bürgerinnen haben sich mehrheitlich gegen den Merkel-Kurs entschieden.
Mitnichten ging es um die Entscheidung, ob wir (endlich) in Deutschland eine Kanzlerin haben. So eine apolitische Schwachsinnsfrage haben sich die Wählerinnen und Wähler nicht gestellt. Sie allein stellen sie. Sie hadern jetzt damit, dass die Menschen anhand von Inhalten, also politisch mündig, entschieden haben. Ich bitte Sie um eines: Verschonen Sie uns künftig mit Ihrem apolitischen Steinzeitfeminismus. Angela Merkels Niederlage ist nicht die Niederlage aller Frauen, sondern das Waterloo des herzlosen technokratischen Neoliberalismus.
Sie können sich weiterhin Seit an Sei,das Weinglas in der Hand, mit Angela Merkel ablichten lassen. Das ist ihre Privatsache. Doch bitte stilisieren sie die Wahl am 18. September und die Entscheidung über die Kanzlerschaft nicht zur emanzipatorischen Schicksalsfrage der Nation. Das ist unter Ihrem Niveau. Und vor allem unter dem der Wählerinnen und Wähler.
Ich will nicht falsch verstanden werden. Den von mir beispielhaft erwähnten drei Frauen an der Macht stehen Legionen von Männern gegenüber, die Menschenrechte mit Füssen traten, sich an politischer Macht berauschten, für die Macht zum Selbst- und Icherfüllungszweck diente.
Die Utopie, für die ich kämpfe, hat Friedrich Schiller vor mehr als zweihundert Jahren in nur einem Satz auf den Punkt gebracht. Ich trete ein für eine Welt und jetzt O-Ton Schiller in der Menschen nur noch Menschen sind. Die Schranken des Unterschieds, für mich auch die des Geschlechts, niedergerissen werden, schlicht keine Rolle mehr spielen. Für diese Utopie lohnt es sich zu kämpfen. Bis dato wähnte ich Sie an meiner Seite.