Merkels „Retter-Konzept“ – ungerecht und nicht finanzierbar

Schauen wir uns die Kirchhof-Konzeption an. Der „Charme“ besteht in erster Linie darin, dass alles so verdammt einfach werden soll. Merz sprach von der Steuererklärung auf einem Bierdeckel, bei Kirchhof kann´s auch eine Briefmarke sein. Seine Behauptung, dass für den normalen Verdiener – abhängig Beschäftigter mit, sagen wir, zwei Kindern – die Steuererklärung derzeit eine 24-Stunden-Formular-Tortur sei, ist schlicht abenteuerlich. Das geht auch schon heute in 20 Minuten.

Kirchhof will eine Flat Tax. Das ist ein Einheitssteuersatz für alle. Bei ihm 25%. Die Idee ist nicht von ihm. Sie stammt vom neoliberalen Wirtschaftsguru Milton Friedman, der sie vor rund 40 Jahren entwarf. Allein die Tatsache, dass diese Idee schon so lange in der Welt ist und keines der hochentwickelten Industrieländer sie umgesetzt hat, zeigt: Es ist keine brauchbare Konzeption. Milton Friedman, einer der einflussreichsten Ökonomen des vorigen Jahrhunderts und in der Wolle gefärbter Neoliberaler, war übrigens enger Berater des chilenischen Diaktators Auguste Pinochét. Ronald Reagan und "Maggie" Thatcher waren Fans des Ultraliberalen. Sowohl in den USA als auch in Großbritannien ging die Schere zwischen Arm und Reich unter der Regie der beiden genannten so weit auf wie nie zuvor.

Die heutige Steuersystematik beruht darauf, dass es einen linear-progressiven Tarif gibt. Rund 7.500 € plus einem Pauschalbetrag von 1.000 € sind für alle Arbeitnehmer steuerfrei. Ab 8.500 € setzt die Besteuerung mit 15% ein und steigert sich in ganz kleinen Stufen bis 42 %. Oberhalb dieser Grenze, die bei 52.000 € gezogen ist (Verheiratete: 104.000 €), steigt die Besteuerung prozentual nicht mehr an.

Ein solcher Steuertarif entspricht dem Grundsatz, dass starke Schultern mehr tragen können als schwache. In der Tat zahlen die 5% Spitzenverdiener auch 50% des gesamten Aufkommens des Einkommenssteuer.

Kirchhof will eine Flat Tax von 25% für alle. Im unteren Einkommensbereich weicht er allerdings davon ab. Bis zu 10.000 € soll das Jahreseinkommen steuerfrei bleiben, 8.000 € Freibetrag plus 2.000 € Pauschale für alle Werbungskosten. Einkommen zwischen 10.001 bis 15.000 werden mit 15 % und Einkommen zwischen 15.00 1 und 20.000 mit 20 % besteuert. Ab 20.001 gilt dann die Flat Tax von 25 %.

Die reine Tarifwirkung, also ohne Streichung von Steuervergünstigungen, führte zu einem Einnahmeminus in den öffentlichen Haushalten von 59,9 Mrd. € (Quelle: Bund- Länderkommission, Feb. 2004) Das wäre für die öffentlichen Haushalte nicht verkraftbar. Deshalb hat Kirchhof alle Ausnahmetatbestände gestrichen. Als da z.B. sind:

– Steuerfreiheit für Aufwandsentschädigungen für nebenberufliche Tätigkeiten als Übungsleiter, Ausbilder etc.
– Pendlerpauschale
– Sparerfreibetrag
– Steuerfreiheit von Feiertags- und Nachtarbeit.

Kirchhof selbst spricht von über 400 zu streichenden Ausnahmetatbeständen. Das Kieler Forschungsinstitut für Weltwirtschaft kam in seinem vor einigen Jahren vorgelegten Subventionsbericht auf knapp 140. Wie sich diese doch große Differenz erklärt, hat Kirchhof bisher nicht belegen können.

Man kann die Wirkungen ausrechnen, die das Kirchhof-Modell hätte:

Eine Oberschwester (ledig) mit 34.000 € im Jahr zahlte nach Kirchhof 1.010 € mehr Steuern als nach geltendem Recht. Eingerechnet ist der Wegfall der Steuerfreiheit von Nacht- und Feiertagszuschlägen. Zugrunde gelegt wurde eine Entfernung von Wohnort zur Arbeit von 15 km.
Eine Facharbeiterfamilie mit zwei Kindern müsste 1.266 € mehr zahlen als heute.

Entlastungen setzen jenseits einer Grenze von 65.000 € Jahreseinkommen ein. Bei 65.000 €, z.B. ein lediger leitender Angestellter, sind es 4.765 € Entlastung pro Jahr oder 12,5% mehr Netto als beim heutigen Tarif. Die Krankenschwester dagegen hätte ein Minus bei ihrem Netto von 4,3%, die Facharbeiterfamilie von 3,1%.

Die Beispiele zeigen: Der Grundsatz Besteuerung nach Leistungsfähigkeit wird aufgegeben. Der vermeintliche „Charme der Einfachheit“ siegt über Gerechtigkeit. Bezeichnend spricht Kirchhof davon, dass für ihn Besteuerung nichts mit Steuern im Sinne von sozialer Ausgleichslenkung zu tun habe. Steuern seien schlicht dazu da, dass der Staat Geld einnimmt. Doch selbst das, gewährleistet das System nicht. Rechnet man alle Streichungen von Ausnahme- und Minderungstatbeständen gegen das Minus nach reiner Tarifwirkung, bleibt immer noch die gewaltige Summe von rund 26 Mrd. €, die Bund, Ländern und Gemeinden fehlen werden.

Schon heute sind die öffentlichen Haushalte „klamm“, wird allgemein Klage geführt, dass notwendige Investitionen der staatlichen Ebenen nicht getätigt werden können. Insofern verbietet sich eine weitere Senkung der Steuersätze. Der Meinung waren Angela Merkel und Jürgen Rüttgers im übrigen noch im Landtagswahlkampf 2005. Weitere Nettoentlastungen seien nicht mehr verkraftbar, sagten sie unisono in jedes sich bietende Mikrofon. Heute präsentiert Frau Merkel Herrn Kirchhof als den Robin Hood des Steuersystems.

Allerdings sozusagen mit umgekehrten Vorzeichen. Der historische Robin Hood stahl den Reichen Geld, um es den Ärmeren zu geben. „Robin“ Kirchhof macht das genau umgekehrt. Eines muss klar sein: Wer für die CDU/CSU stimmt, wählt "Robin" Kirchhof mit.