Theaterleute nennen so was den deus-ex-machina-Effekt, was wörtlich übersetzt heißt, dass ein Gott aus der Maschine auf die Bühne kommt und im besten Falle alle Probleme löst. Meist schwebt er rein technisch gesehen von oben ein. Nicht von oben, eher von der Seite, besser Außerhalb, kommt Prof. Kirchhof. Und ob er Probleme löst, kann füglich bezeifelt werden.
Er machte sich einen Namen als Steuerexperte, vor allem als der brutalstmögliche Vereinfacher. Doch einfach allein ist kein Gütesiegel, wie jeder weiß, der den technisch simplen VW-Käfer mit einem modernen Auto vergleicht. Beim Wolfsburger Rekordläufer konnte man zwar mit zwei Schräubchen mal eben den Motor einstellen, er verbrauchte aber auch satte 12 Liter auf Hundert vom fehlenden Komfort wollen wir schweigen.
Kirchhof schrieb sozusagen die Mutter aller neoliberalen Steuerkonzeptionen. Merz´ Bierdeckelmodell, FDP-Solms Flattax-Idee gehen auf den professuralen Juristen zurück. Kirchoff dampft das Steuergesetz von aktuell rund 180 Paragrafen auf 23 ein. Doch Vorsicht ist geboten. Kirchhof regelt Vieles sehr allgemein. Zahlreich wird notwendige Steuerung auf untergesetzliche Rechtsquellen verwiesen. Da stellt sich leicht der allen Diäterfahrenen bekannte Jo-Jo-Effekt ein.
Das KirchhofModell führte in der reinen Tarifwirkung zu staatlichen Mindereinnahmen von 59,9 Milliarden pro Jahr. Das ist angesichts knapper Kassen völlig unmöglich und widerspräche im übrigen auch dem, was die CDU/CSU Kanzlerkandidatin gebütsmühleartig, dass es nämlich keine Spielräume für wirkliche Entlastungen gebe. Bei völligem Ausbau der Bemessungsgrundlage und Totalabriss aller Minderungstatbestände brächte das Kirchhof-Modell immer noch ein Minus von 21 Milliarden pro Jahr.
Der Kirchhof-Vorschlag beinhaltet für Bezieher höherer Einkommen besonders umfangreiche Entlastungen. Bis knapp 60.000 im Jahr zahlt man mehr als heute. Darüber setzen die Entlastungen ein. Von Gerechtigkeit keine Spur. Was schnell und einfach einsehbar ist, setzt doch der Spitzensteuersatz, von Kirchhof bei 25 Prozent fixiert, schon bei dem Jahreseinkommen von 18.001 ein.
Auch wenn sich vergegenwärtigt, wie in seinem Entwurf die Bruttotarifentlastung von 59,9 Milliarden pro Jahr auf immer noch nicht darstellbare 21 netto gegenfinanziert werden soll, wird schnell klar, wer die Zeche bezahlt.
1. Die Streichung der Steuerfreiheit von Nacht-, Feiertags- und Nachzuschlägen bringt 1,45 Milliarden. Wer hat heute was davon? Spitzenverdiener wohl eher nicht. Was da im Säckel klimmpert, fehlt natürlich im Portmonee von Otto-Normalverdiener an Kaufkraft.
2. Der völlige Wegfall der Entfernungspauschale spült dem Fiskus 3,35 Milliarden in die Kasse. Quelle des Zustroms: Die Schatulle der Pendler.
3. Die Streichung des Arbeitnehmerpauschbetrages bringt 1,675 Milliarden.
4. Fährt man den Sparerfreibetrag auf Null, was Kirchhof vorschlägt, kommen noch einmal stattliche 3,35 Milliarden dazu.
6. Die Einführung der Steuerpflicht auf Aufwandsentschädigungen für nebenberufliche Tätigkeiten z.B. Übungsleiter, Ausbilder oder Erzieher: 1 Milliarde.
7. Eine Neuregelung der Bilanzvorschriften bringt die satte Summe von 8,5 Milliarden. Das dürfte den Normalverdiener weniger interessieren. Gemeint sind hier, allgemein gesprochen, die Verlustverrechnungsmöglichkeiten.
8. Eine von Kirchhof vorgeschlagene neue Einkommensermittlung bei Vermietung und Verpachtung das Kirchhoff-Modell kennt nur noch eine Einkommensart brächte rund 7 Milliarden. Das interessiert auch kleine Leute. Nicht selten haben sie solche Einkünfte aus der Vermietung z.B. einer Einliegerwohnung.
9. Auch die Streichung der Steuerfreiheit von Lohnersatzleistungen außer Sachleistungen fordert Kirchhoff. Was für einen ALG II Bezieher West bedeutet, dass seine 345 pro Monat steuerpflichtig wären. Ertrag laut Kirchhof: 2,835 Milliarden . Das ist, salopp gesprochen, ein ziemlicher Hammer.
Macht in Summe 27,96 Milliarden . Oder: Rund 60% dieser Gegenfinanzierung zahlen eher die kleinen Leute aus ihrem Säckel.
Zudem kommt, dass Kirchhofs Modell prinzipiell nicht kompatibel ist mit dem Merkelplan einer Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 18 Prozent. Die größte Schnittmenge hat die Kirchhof-Kozeption mit dem steuerpolitischen Programm der FDP. Wieder einmal gilt: Wer wissen will, was auf uns zukommt, sollte Merkel ins Kanzleramt einziehen, dem sei empfohlen, das Programm der FDP zu lesen und nicht das der CDU/CSU. Westerwell/Solms sprechen das aus, was Merkel sich nicht zu sagen traut.
Angela Merkel weiß, für welche radikale Roßkur zu Lasten der sozialen Balance Kirchhof steht. So viel Radikalität war sogar dem neoliberal in der Wolle gefärbten Friedrich Merz zu starker Tobak. Sein Bierdeckel-Modell ist dem Kirchhofschen im Grundsatz verpflichtet, aber keine Kopie ein zu eins. Jetzt hat Angela Merkel sich Kirchhof nicht nur theoretisch angeeignet, nein, sie hat ihn als Person in ihr Schattenkabinett geholt. Wenn das mehr war als nur ein PR-Gag, um für ein paar Tage Schlagzeile zu machen, kann, ja muss, erwartet werden, dass ab sofort der Steuervereinfachungsfundamentalist Kirchhoff das repräsentiert, was CDU/CSU im Grunde wollen.