


Hans-Jochen Vogel, 1926 geboren, Oberbürgermeister von München a.D., Bundesjustizminister von 1974 bis 1981 im Kabinett von Helmut Schmidt, machte am heutigen Mittwoch, den 4. Mai, ein Interviewstippvisite in der WAZ-Redaktion in Mülheim. Mit am Tisch, Hannelore Kraft, Ministerin und Landtagsabgeordnete. Zwei Generationen also an einem Tisch. Und doch bruchlose Übereinstimmung.
Übereinstimmung darin, dass eine rein pragmatische Politik, diktiert allein durch die Regeln des Marktes, nicht verantwortlich ist. Doch Lamentieren lehnt Vogel ab. Im Zuge der Globalisierung sind nationaler Politik sehr enge Wirkungsgrenzen gesetzt. Umso wichtiger sei es z.B. im Rahmen der Europäischen Union die moralische Verpflichtung, die mit der sozialen Marktwirtschaft verknüpft ist, durch ein Regelwerk zur Geltung zu bringen.
Hannelore Kraft ergänzt: Wir haben einen EU-Wirtschaftsraum geschaffen. Jetzt geht es darum, diesen durch ein EU-Sozialraum zu vertiefen. Beide plädierten zum Beispiel für die Harmonisierung der Unternehmensteuersätze in der EU. Es könne nicht angehen, dass sich die Staaten der EU einen Dumpingwettlauf um die niedrigsten Steuersätze lieferten. Daran zerbreche der Sozialstaat letztendlich. Und damit auch das Vertrauen der Menschen in die Wirksamkeit von Politik überhaupt.
Vogel: Es gibt eine fatale Neigung, nur noch danach zu fragen, ob etwas eklatant gegen Startgesetze verstößt. Wenn nicht, dann gilt mehr und mehr die Devise: anything goes. Das ist der Weg in die moralische Anarchie. Diese Einstellung finde ich insbesondere in den oberen Etagen mancher Wirtschaftsunternehmen. Dort sollte man auf den Fluren plakatieren: Was seid ihr dem Gemeinwesen schuldig?
Hans-Jochen Vogel, ein elder statesman, ein kluger Mann.